flatten the curve – die Seelsorgewelle rollt.


Ich verzeichne dieser Tage einen Anstieg um rund 300% an seelsorgerlichen Anfragen. Teils kommen sie über WhatsApp, andere, sehr viele, über den Facebook-Messenger, andere wieder laufen telefonisch. Einige wenige erreichen mich per E-Mail. Face to Face läuft dagegen gar nichts.

Je nach gewähltem Medium entwickelt die Seelsorge ihr eigenes Setting, ihr Tempo, ja sogar Liturgie. Sehr spannend ist die Seelsorge am Telefon. Hier gilt es, besonders schnell reagieren zu können oder dranzubleiben. Meist sind es Männer, die diesen Weg suchen. Nach anfänglich umständlichen Entschuldigungen für die gewähnte „Störung“ – dahinter verbirgt sich meist das Eingeständnis, einen ungewöhnlichen Weg beschritten zu haben oder haben zu müssen, was als peinlich empfunden werden kann – folgt dann i.d.R. eine sehr ausführliche Beschreibung, Schilderung der als misslich empfundenen Situation oder eine weite Herleitung von Umständen, die zur jetzigen Lage geführt haben. Meine Aufgabe ist es dann, bei notwendigen Verständnisfragen zu schweigen und zuzuhören, gelegentlich weiterführende Gedanken einfließen zu lassen und in eher seltenen Fällen auch einmal zu raten, sich professionelle, fachlich spezifische Hilfe einzuholen. Diese Gespräche dauern lange, und der Seelsorge Suchende bestimmt das Tempo und die Dauer. Ich bin immer sehr froh, wenn das eigentliche Hauptanliegen darin besteht, einfach mal jemanden gebraucht zu haben, der nur zuhört, jemanden, dem man mal alles sagen kann, das Herz ausschütten, zu weinen. Und das geschützt durch die Distanz. Meist finden die Gespräche ein gutes, manchmal auch vorläufiges Ende. Nichtsdestotrotz beanspruchen sie meine Ressourcen. Denn ich muss die ganze Zeit über hellwach bleiben und einfühlsam sein ohne Sichtkontakt.

Die Seelsorge via WhatsApp läuft anders. Wenn sie jemand begehrt, die – und in der Mehrzahl handelt es sich da um Frauen – in meinen Kontakten ist, besteht schon eine gewisse persönliche Erfahrung miteinander. Diejenige weiß, was sie von mir erwarten kann; entsprechend präzise sind die Botschaften gestaltet. Manchmal kommt es auch zu vermittelten Kontaktaufnahmen; wenn mich zum Beispiel jemand fragt, ob meine Telefonnummer weitergegeben werden dürfe; er kenne da jemanden, die in dieser oder jener Situation Rat oder Hilfe bräuchte. In beiden Fällen sind die Worte kurz und präzise formuliert, der Zeitpunkt sorgsam gewählt und eine sofortige Reaktion meinerseits nicht gefordert oder erwartet. Ich kann mir dann Zeit lassen bei der Beantwortung. Das Schreiben von Texten auf der Smartphonetastatur lässt lange Texte weniger zu und drängt zur Konzentration auf das Wesentliche. Das wiederum besteht nicht darin, jemanden zu haben, dem man alles sagen kann, weil er zuhört; sondern darin, auf konkrete Fragen konkrete Antworten zu erhalten. Manchmal kommt es deshalb auch zu Nachfragen. Insgesamt ist das eine Seelsorge, die, anders als die am Telefon, sich für beide Seiten unbelasteter, leichter anfühlt.

Eine weitere Form ist die Seelsorge via Facebook-Messenger; ich halte es für eine Mischform aus den beiden o.g. Das Schreiben an einer Computertastatur drängt nicht so stark zur Konzentration, wie das beim Smartphone der Fall ist. Das führt gelegentlich dazu, dass im Schutze der Unsichtbarkeit oder einer gewissen Unpersönlichkeit die Beiträge ausufernd oder enthemmt wirken. Gelegentlich vermute ich, dass einige Facebucker leicht alkoholisiert am PC sitzen, und sich Dinge „von der Seele“ schreiben, die gar nicht von dort stammen. Ich muss dann stets sorgfältig das eigentliche Begehr scheiden von einem bloßen Geschimpfe, welches die Seele nicht ent-, sondern belastet. Auch das ist Seelsorge und für mich eine durchaus fordernde Form. Denn es ist zu beachten, dass alles, was ich schreibe oder mein Gegenüber schreibt, quasi für die Ewigkeit erhalten bleibt. Weiß ich denn, ob meine Worte aus dem Zusammenhang gerissen, nicht irgendwo im Netz verwendet, zweckentfremdet oder missbraucht werden? Dennoch – um der Not einiger Willen – ist auch dies eine Möglichkeit von Seelsorge, die zunächst grundsätzlich sein darf. Gott sei Dank, dass ich die Freiheit habe, sie anzunehmen oder abzulehnen. Diese meine seelsorgerliche Freiheit macht die Seelsorge so kostbar für den oder die, die oder der sie braucht. Und das lässt sich auch via Messenger kommunizieren.

So lerne ich Seelsorge neu. Bislang war sie meistens face to face.
Doch auch letztere musste ich erst erlernen, wofür es entsprechende Ausbildungsgänge gibt. In dieser Ausbildung sollten künftig verstärkt Formen der digitalen Seelsorge Berücksichtigung finden. Insofern ist das hier eine überaus verkürzte, aber eine Problemanzeige.

Über bikerpfarrer

Beauftragter der Ev. Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz für die Arbeit mit Motorradfahrenden. www.ekbo.de
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